„Ein passendes Angebot“

Vor vielen Jahren hatte ich mir beim Sport einen äußerst schmerzhaften Bänderanriss am Fuß zugezogen. Freunde fuhren mich nach Hause und als die Schmerzen über Stunden nicht nachließen, fragte ich Bekannte um Hilfe und bekam einen Spezialisten für Sportverletzungen empfohlen. In seiner Praxis erzählte er mir, dass er nahezu täglich mit solchen Verletzungen zu tun hat und erstellte einen Behandlungsplan. Ich fühlte mich dort sehr gut aufgehoben, denn offensichtlich wusste der Arzt genau Bescheid um die Art meiner Verletzung. Später hörte ich im Verein von einem anderen Freizeitsportler mit einer ähnlichen Verletzung, der mit seinem Arzt höchst unzufrieden war. Ich hatte wohl mehr Glück.

Als Opferbeauftragter und als Rechtsanwalt habe ich seit vielen Jahren mit Geschädigten und Hinterbliebenen von Straftaten zu tun. Auch wenn sich einige Sorgen und Probleme ähneln, so sind die Bedürfnisse der Betroffenen doch oft auch sehr unterschiedlich. Simpel gesprochen, macht es eben doch einen großen Unterschied, ob Betrüger das Konto abgeräumt haben oder ein naher Angehöriger bei einem Raubüberfall getötet wurde.

Im Bereich des Stalkings haben wir eine ganz besondere Situation. Oftmals kennen sich Stalker und Gestalkte. Nicht selten handelt es sich um gescheiterte Beziehungen. Vielfach handelt es sich bei den Stalkern um Menschen mit psychischen Problemen, die mit den klassischen Instrumenten der Strafverfolgung nur schwer zu erreichen sind. Immer wieder hatte und habe ich es mit Stalkern zu tun, die nicht einmal die konkrete Aussicht auf eine Haftstrafe von ihrem Verhalten abbringen konnte. Nach meiner Erfahrung bringen reine Strafverschärfungen bei solchen Tätern wenig bis nichts. Für die Gestalkten handelt es sich ohnehin immer um eine furchtbare Situation, die aufhören soll und muss. Und so wichtig es ist, die Täter zu behandeln und von ihrem Tun abzubringen, wofür KUB e.V. auch steht, bin ich sehr froh darüber, dass ich schon seit mehreren Jahren die Möglichkeit habe, hilfesuchenden Opfern eine qualifizierte und spezialisierte Einrichtung empfehlen zu können. Denn was für meine Sportverletzung galt, gilt selbstverständlich auch hier. Spezielle Formen der Verletzung bedürfen besondere Formen der Spezialisierung. Und gerade das zeichnet KUB e.V. mit Stop-Stalking aus. Sie wissen um jede Form des Stalkings und können einen „Behandlungsplan“ erstellen, der meist zum ersten und so wichtigen Schritt der „Heilung“, nämlich zum Ende des Stalkings führt.

Bei meiner Sportverletzung hatte ich im Gegensatz zu dem Mitsportler Glück – ich wurde zum Spezialisten geschickt. Leider haben bis heute viele Betroffene von Stalking noch nicht das Glück, dass auch sie zu den Spezialisten geschickt werden. Die Frage lautet daher: Wie finden Gestalkte zu Stop-Stalking?

Der Gesetzgeber sagt, dass Geschädigte über ihre Rechte zu informieren sind. Das passiert auch, viele engagierte Polizisten und Polizistinnen tun das täglich. Sie treffen aber auf Menschen in Ausnahmesituationen. Dann braucht es fast immer viel Zeit, um auf die Menschen einzugehen. Zeit, die die Polizei fast nie hat, weil sie mit einer Unzahl von Aufgaben betraut ist. So bleibt es zwangsläufig bei der Information über die Hilfsmöglichkeiten.

Nach meiner Erfahrung kann Geschädigten sehr viel schneller und besser geholfen werden, indem pro-aktiv auf sie zugegangen wird. Dieser Ansatz, wonach sich spezialisierte Hilfseinrichtungen bei den Betroffenen melden und Hilfe anbieten, wird in einigen anderen Ländern verfolgt. Aber wie viele Opfer wollen überhaupt Hilfe? Verbindliche Nutzungsquoten der Hilfsangebote konnte ich für Berlin aus mehreren Gründen nie ermitteln. Nach jahrelangen Beobachtungen, Auswertungen und vielen Hochrechnungen bin ich zu dem Schluss gelangt, dass in Berlin maximal 10% der Betroffenen die Hilfsangebote in Anspruch nehmen. Letzte Woche erst las ich Zahlen, wonach beispielsweise in Nord-Irland über den pro-aktiven Ansatz 70% der Geschädigten geholfen wird. Vergleichbar ist es in den Niederlanden. Und als ich letztes Jahr in Taiwan eingeladen war und mir die Angebote dort vorgestellt wurden, war sogar von knapp 80% die Rede.

Nun haben wir das Glück, dass unser Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Herr Dr. Behrendt, einem effektiven und sinnvollen Opferschutz sehr zugetan ist. Aus diesem Grund war er als erster Justizsenator, respektive Justizminister eines Bundeslandes, auch sofort bereit, einen neuen Weg einzuschlagen, als wir uns Gedanken darüber gemacht haben, wie Opfern, wie denen des Anschlags vom Breitscheidplatz, künftig besser geholfen werden kann. Kaum jemand dürfte entgangen sein, wie enttäuscht sich mehrere der Betroffenen über die Politik geäußert hatten und wie verlassen sie sich in ihrer Situation vorkamen. Wie Sie vielleicht alle schon gehört haben, bauen wir derzeit eine „Zentrale Anlaufstelle“ für Opfer von Terror, Amok und Großschadenslagen auf, die bei der SenJustVA angesiedelt ist. Der Sinn besteht darin, bei entsprechenden Geschehnissen sofort auf die Geschädigten zuzugehen, sie zu unterstützen und ihnen die jeweils nötige Hilfe mittels der zuständigen Stellen zu vermitteln. Über so etwas verfügt noch kein anderes Bundesland.

In einer der größten Städte Europas ist es nicht möglich, dass der Justizsenator in seiner Senatsverwaltung eine Anlaufstelle für alle Opfer schafft. Dies ist meines Erachtens nach auch nicht erforderlich. Vielmehr geht es um den Weg und die Art des Umgangs mit den Geschädigten. So wie wir nunmehr über die „Zentrale Anlaufstelle“ einen Weg des pro-aktiven Zugangs für Verletzte und Hinterbliebene bei bestimmten Ereignissen gefunden haben, würde ich mir wünschen, dass die Polizei und die Ermittlungsbehörden einen Weg finden, wie Betroffene von Stalking den Weg zu Stop-Stalking finden. Mir ist bewusst, dass das nicht mal nebenbei umgesetzt werden kann. Es ist denkbar, dass sich beispielsweise Hilfseinrichtungen übergangen fühlen können oder es können sich Schwierigkeiten beim Datenschutz zeigen. Solche und andere Probleme waren aber für den Justizsenator kein Grund, von der „Zentralen Anlaufstelle“ abzusehen.

Ich bin davon überzeugt, dass es für die einzelnen Opfergruppierungen bessere Wege gibt, als pauschal mittels Faltblättern zu informieren und darauf zu vertrauen, dass sie dann alles alleine schaffen. Der Anschlag vom Breitscheidplatz hat gerade gezeigt, dass das bloße Informieren nicht reichte.

Ebenfalls bin ich davon überzeugt, dass Stop-Stalking auch die nächsten zehn Jahre erfolgreich seiner so wichtigen Tätigkeit in diesem sensiblen Bereich nachgeht. Meine Hoffnung und mein Wunsch ist, dass es bis dahin selbstverständlich geworden ist, dass allen Opfern unmittelbar und pro-aktiv ein für sie passendes Angebot unterbreitet wird.